Kolumne von Olaf Schlotmann

Wieso zehnjährige US-Staatsanleihen jetzt ein Kauf sind

onvista · Uhr

Die Renditen am Bondmarkt haben zuletzt angezogen, nachdem Zinssenkungen der Zentralbanken in weitere Ferne gerückt sind. Bond-Investoren bietet das eine gute Einstiegsgelegenheit.

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Während viele Privatanleger immer noch darum kämpfen, auf Termineinlagen bei Banken endlich mal drei Prozent und mehr zu erzielen, waren die die Marktteilnehmer am Anleihemarkt im vergangenen Dezember schon viel weiter. Fünf Prozent warfen zehnjährige US-Staatsanleihen seinerzeit ab. Doch allein die Aussage des Vorsitzenden der amerikanischen Notenbank, Jerome Powell, dass der Leitzins „wahrscheinlich an oder nahe seinem Höchststand für diesen Zinszyklus“ sei,  ließ die Rendite der so genannten Treasuries, die als Indikator für die Kreditkosten in der ganzen Welt gelten, zum ersten Mal seit August wieder unter vier Prozent fallen.

Renditen von Bundesanleihen mit Laufzeit von zehn Jahren sackten im Tandem vor dem Jahreswechsel in kurzer Zeit von gut drei Prozent Rendite auf 1,95. Inzwischen liegen die Renditen aber wieder deutlich höher. Zehnjährige Bundesanleihen handeln aktuell wieder bei knapp 2,4 Prozent (siehe unten).

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Der Schlüssel zum Verständnis dieser extremen Stimmungs- und Kursschwankungen ist in der Mechanik der aktuell praktizierten, datenabhängigen Geldpolitik zu suchen. Sie veranlasst die Marktteilnehmer, ihre Handelsstrategien andauernd zu überarbeiten und zu revidieren. Eine intensive Analyse der Rhetorik der Zentralbanken mischt sich mit der Prognose von eingehenden Daten, die vermeintlich den zukünftigen Pfad der Notenbankzinssätze beeinflussen. So steigt die Volatilität der Anleihepreise zwangsweise mit der Volatilität der Daten. 

Die Zentralbanken handeln aktionistisch

Das ist nicht neu. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise 2008 gibt es keinen freien Geldmarkt mehr. Seitdem sind die Zentralbanken extrem aktionistisch, weil sie der Kritik begegnen wollten, sie täten in den Krisen nicht genug, um das Wachstum wieder anzukurbeln.

Weil die Inflation nach der Krise 2008 durchweg unter dem Zielwert lag, zogen sie alle Register: Sie hielten die Zinssätze über lange Zeiträume bei null und führten eine quantitative Lockerung durch, um dann die Zinssätze von effektiv null im Jahr 2021 mit dem Steigen der Inflationsraten auf ein restriktives Niveau von vier Prozent in der Eurozone, 5,25 Prozent im Vereinigten Königreich und 5,25 bis 5,5 Prozent in den USA zu erhöhen.

Kritiker sagen: Genau dieser Aktionismus überfordere das Mandat der Zentralbanken für Preisstabilität. In Euroland haben selbst Negativrenditen für zehnjährige deutsche Staatsanleihen nach billionenschweren Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) es nicht geschafft, die Inflationsrate auf zwei Prozent zu hieven, während die jetzige restriktive Geldpolitik darauf abziele, den durch Anstieg der Energiepreise (vorübergehend) ausgelösten Anstieg der Inflationsrate durch ein Dämpfen der Nachfrage zu bekämpfen.

Würde die Nachfrage tatsächlich nachgeben, fiele es Firmen schwerer, ihre Preise zu erhöhen, und Gewerkschaften täten sich schwerer, Tariferhöhungen durchzusetzen. Das Bremsmanöver hat aber starke Nebenwirkungen: Die Immobilienmärkte sind eingefroren, Fusionen und Übernahmen scheitern, Insolvenzen nehmen zu.

Die Geldschwemme ist nicht der Treiber der Inflation

Führen diese schweren Nebenwirkungen der aktuellen Geldpolitik nun dazu, dass die Zentralbanken künftig weniger aktionistisch agieren? Dass sie die Zinsen jetzt wieder senken und sie dann eine Weile auf niedrigerem Niveau stehen lassen?

Ich glaube, dass wir aus vielen Gründen nicht zu extrem niedrigen Zinsen zurückkehren werden. Die Notenbanken, insbesondere die EZB, möchten möglicherweise eine dauerhaft stimulierende Haltung vermeiden. Gerade die EZB fürchtet sich sehr davor, eine neuerliche Runde explodierender Teuerungsraten selbst auszulösen. 

Die Inflationsraten sind zwar deutlich zurückgekommen, abzulesen etwa am Preis von inflationsindexierten Bundesanleihen. Der signalisierte vor knapp einem Jahr noch eine erwartete Inflationsrate von 2,8 Prozent jährlich bis 2030. Inzwischen sind es nur noch 1,95 Prozent. Dennoch klebt an den millionenschweren, aber erfolglosen Anleihekaufprogrammen samt Geldschwemme für manche (deutsche Volkswirte) ein Menetekel. Ein Zitat des Ökonomen Milton Friedman bringt dies auf den Punkt: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen: Sie kann nur auftreten, wenn die Geldmenge schneller wächst als die Produktionsleistung.“ 

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Und hat nicht das „Pandemische Notfallkaufprogramm“ einen gewaltigen Geldmengenüberhang aufgebaut (siehe Grafik oben)? Manche Volkswirte rechnen mit ihren Modellen vor, dass die Entwicklung der Geldmenge mit dem aus dem Trend von 2008 bis 2014 fortgeschriebenen Wert zu einem Geldüberhang von über 40 Prozent geführt hat. Das berge in der Eurozone ein Potenzial für Inflationsraten von mindestens 4,75 Prozent bis Mitte dieses Jahrzehnts. Obwohl die Geldschwemme tatsächlich gewaltig ist, ist das in meinen Augen eine folgenreiche, katastrophale Fehleinschätzung.

Die deutschen Monetaristen beeinflussen die EZB

Des Pudels Kern ist nämlich folgender: Die Geldschwemme im Euroraum ist das Spiegelbild der Ankaufsprogramme der EZB. Banken und Publikum verkauften Anleihen mit hohen Kursgewinnen an die EZB, die diese mit neuem Zentralbankgeld bezahlte. Banken legten die Erlöse als Einlagen bei der Zentralbank an und das Publikum ihre Verkaufserlöse als Einlage bei ihren Banken.

Im Unterschied zu der Annahme des Monetarismus haben die Banken aber weder neue Kredite vergeben, noch haben private Verkäufer den Erlös ausgegeben, was die Inflation treiben würde. Stattdessen haben sie sie das Geld am Finanzmarkt geparkt oder in andere Vermögenswerte investiert.

Richtige Experten sprechen hier aber von einer Portfolionachfrage nach Geld auf der Vermögensseite, die in keiner Beziehung zur gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage und damit zu möglichen Preisstabilitätsrisiken steht. Denn die Verkäufer wollen das Geld eben nicht ausgeben (was die Inflation treiben würde), sondern am Finanzmarkt parken oder in andere Vermögenswerte investieren.

Und ein Blick auf die deutsche Inflationsrate macht es deutlich. Russlands Angriff auf die Ukraine ließ die Inflationsrate explodieren und die folgende Abschwächung des Energiepreisanstiegs halbierte die deutsche Rate dann bei nahezu konstanter Geldschwemme im Alleingang (siehe Grafik unten). Dass die monetaristischen Volkswirte ihre Sichtweise immer noch engagiert in die Öffentlichkeit tragen, hemmt aber auf jeden Fall den erneuten Aktionismus der EZB Richtung ultra-niedriger Zinssätze. 

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Tatsächlich gibt es auch gewichtige (aber andere) Gründe, warum die Inflationsraten und damit die Notenbankzinssätze in naher Zukunft höher sein werden als vor 2021. Nach Ansicht von Harvard-Professor Kenneth Rogoff wird die Inflationsrate, selbst wenn sie weiter zurückgeht, im nächsten Jahrzehnt wahrscheinlich höher bleiben als im Jahrzehnt nach der Finanzkrise.

Er führt Faktoren wie Demographie, steigende Verschuldung, höhere Verteidigungsausgaben, den ökologischen Wandel und populistische Forderungen nach Einkommensumverteilung an. Dem ist kaum zu widersprechen, auch wenn die Frage offen ist, inwieweit Technologien wie Künstliche Intelligenz dem Inflationsdruck entgegenwirken können. 

Die EZB hat gerade verlauten lassen, dass sich die Inflationsrate in diesem Jahr wahrscheinlich wenig dynamisch verlangsamen wird als Ende vergangenen Jahres. Und die EZB Banker streiten gerade mit den Märkten über den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung. Bitter ist, dass dies in einer Phase passiert, in der die Wirtschaft der Eurozone weiter schwach ist und einzelne Länder sogar in eine technische Rezession abgleiten beziehungsweise abgeglitten sind, allen voran Deutschland. 

Fazit: Die Renditen fallen - aber erst einmal nur moderat

Meine Prognose: Wir werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich keine Rückkehr der extrem lockeren Geldpolitik erleben. Gegenwärtig herrscht folgender Konsens unter den Marktteilnehmern am Rentenmarkt: Die Inflationsraten der Industrieländer bewegen sich in die richtige Richtung und werden bald das Inflationsziel von Fed und EZB erreichen, die magischen zwei Prozent.

Infolgedessen werden weitere Zinserhöhungen nicht notwendig sein. Der Wirtschaft gelingt eine weiche Landung, die durch eine leichte (Eurozone) oder sogar gar keine Rezession (USA) gekennzeichnet sein wird. Damit werden Fed und EZB in der Lage sein, die Zinsen perspektivisch wieder zu senken – aber nicht so stark und so schnell, wie der Markt gerade hofft. 

Was heißt das für zehnjährige Staatsanleihen? In den USA besteht die Möglichkeit, dass wir in diesem Zyklus den endgültigen Leitzins bei etwa 2,75 Prozent sehen könnten. Das wäre fast halb so tief wie die Zinsen gerade stehen. Käme es dazu, stünde zu erwarten, dass die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen irgendwo bei 3,5 Prozent liegen wird, vielleicht sogar noch etwas niedriger. 

Das heißt auch: Alles zwischen 4,2 und 4,3 Prozent Rendite - also das aktuelle Niveau - ist ein „Kauf“ für die zehnjährigen US-Treasuries. Denn damit es von diesem Niveau aus nochmal zu einem erneuten Renditeanstieg kommt, müssten die Zinsen wider Erwarten angehoben werden oder alle Zinssenkungsfantasie abebben. Für die Eurozone mit seinen schwächeren Wachstumsaussichten heißt das übersetzt: ein Erwartungswert für den Leitzins von durchschnittlich zwei Prozent durch einen ganzen Zyklus und Zielrenditen für zehnjährige Bundesanleihen bis Jahresende von 2,3 bis 2,4 Prozent. Das Dezembertief von etwa 1,95 sehen wir nicht wieder.

Bleiben die Zinsen für längere Zeit erhöht oder kehren wir zu Niedrigzinsen zurück? In seinem Video-Finanzcast erklärt Olaf Schlotmann, welche Entwicklung er für Zinsen und Inflation jetzt erwartet. 

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